RA Mayer / Prof. Dr. Nestler
Fortbildung Strafrecht / Strafprozeßrecht aktuell

23.03.2012

Anwendung von §§ 251, 256 und Beanstandungspflicht gem. § 238 Abs.2 StPO

BGH 3 StR 315/11, Beschluss vom 25.10.2011

SV: Verlesung eines ärztlichen Untersuchungsberichts ohne Angabe im Protokoll, auf welcher Grundlage dieser erfolgt ist.

1. Zwar folgt aus § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, dass der Angeklagte unter den dort näher bestimmten Umständen auf die Einhaltung des Grundsatzes der persönlichen Vernehmung nach § 250 StPO verzichten kann. § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO lässt aber einen Verzicht des Angeklagten nicht genügen, sondern fordert ausdrücklich das Einverständnis der Staatsanwaltschaft und eine durch Beschlussfassung dokumentierte Ermessensentscheidung des gesamten Spruchkörpers zugunsten der Verlesung, § 251 Abs, 4 Satz 1 StPO.

Steht die Abweichung von einem Prozessgrundsatz unter solchen qualifizierten Voraussetzungen, so gibt das Gesetz damit zu erkennen, dass von seiner Einhaltung nicht formlos durch allseitiges Schweigen auf eine Anordnung des Vorsitzenden abgesehen werden kann.

Eine Beanstandung gem. § 238 Abs. 2 StPO ist nicht erforderlich.

2. Wird gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO ein ärztliches Attest verlesen, so wird sich regelmäßig erst in der Urteilsberatung ergeben, ob das Gericht das Schriftstück allein zum Nachweis einer Körperverletzung, die nicht zu den schweren gehört, heranzieht oder - unter Überschreitung der durch die Bestimmung gezogenen Grenzen - unzulässig als Beleg für darüber hinausgehende Umstände verwertet. Für den Angeklagten wird ein solcher Rechtsfehler erst aus den schriftlichen Urteilsgründen ersichtlich, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem er von dem Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO keinen Gebrauch mehr machen kann. Dieser kann daher schwerlich Zulässigkeitsvoraussetzung einer Rüge der Verletzung des § 250 StPO sein.